So haben Lehrer den Unterricht noch nie erlebt!
Dieses Jahr haben Lehrer und Schüler Schule wie nie zuvor erlebt. Ein Lehrer berichtet, wie er die Veränderungen durch die Corona-Maßnahmen wahrgenommen hat und erzählt von den Auswirkungen auf die Schüler.
Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf am besten?
Tatsächlich gefällt mir am besten, wenn man den glücklichen Moment erleben kann, dass Schüler ihr Abitur abgelegt haben und dann einem sagen: „Bei Ihnen habe ich wirklich etwas gelernt.“.
Allerdings fiel dieser Aspekt dann Anfang des Jahres weg, als die Schulen plötzlich geschlossen wurden. Wie war denn Ihre erste Reaktion darauf?
Es war mir nicht klar, was das für unseren Arbeitsalltag bedeuten würde. Was mir aber sofort klar war, war, dass das ein historischer Moment ist. Das hatte so noch keiner erlebt und das wird hoffentlich auch keiner wieder erleben müssen.
Nach den Schulschließungen kam es dann zum „Homeschooling“. Gab es Probleme bei der Digitalisierung und der Kommunikation mit den Schülern?
Bei den Lehrern kam es nur vereinzelt zu Komplikationen, aber infrastrukturell gab es in unserem Land eben Probleme. Die Kinder wohnen in Orten, die an unterschiedlich starke Datenleitungen angeschlossen sind, sodass sie teilweise nicht einmal PDF-Dateien herunterladen konnten.
Zudem hat man die Erkenntnis gehabt, dass man zwar immer von den „Digital-Natives“ spricht und annimmt, dass die jetzige Generation der Kinder digitalisiert aufwächst. Tatsächlich handelt es sich dabei aber doch eher um Unterhaltungsmedien und im Office-Bereich fehlen oftmals die Erfahrungen. Irgendwelche Dateien herunterzuladen, zu bearbeiten und anschließend wieder hochzuladen, ist vielen anfänglich schwergefallen.
Allerdings wurde es von Woche zu Woche besser. Man konnte es den Kindern erklären und es hat sich wirklich eingespielt.
Wie würden Sie dieses Prinzip „Homeschooling“ im Nachhinein bewerten?
Da waren die Erfahrungen sehr unterschiedlich. Also man sieht eben deutlich, dass es für jüngere Schüler nicht gut funktioniert, während die älteren überwiegend gut klargekommen sind. Also es war wirklich sehr unterschiedlich, aber insgesamt hat es mit zunehmender Zeit relativ gut funktioniert.
Nach den Sommerferien konnten dann aber alle wieder zum Präsenzunterricht unter strengeren Corona-Maßnahmen. Hat sich Ihr Berufsleben stark verändert im Gegensatz zu früher?
Absolut! Es sind durchaus Lücken vom Frühjahr vorhanden, die aufzuarbeiten wären, und dies wäre auch problemlos möglich, wenn wir ein „normales“ Schuljahr hätten. Nun haben wir alles andere als ein „normales“ Schuljahr.
Zum einen ist nach meiner Wahrnehmung die psychische Belastung bei allen Beteiligten nicht zu unterschätzen, sowohl bei den Schülern, als auch bei den Lehrern. Es machen sich viele Kinder Sorgen und auch wir Lehrkräfte fühlen uns im Moment in so vollen Schulhäuser nun wohl. Man will die Kinder dann auch nicht mit Aufgaben überlasten, weil man von einzelnen schwierigen familiären Situationen noch weiß. Da entsteht eine große Jonglage, die einem sehr schwerfällt.
Zum anderen geht immens viel Unterrichtszeit verloren. Wir sollen innerhalb einer Schulstunde immer für fünf Minuten auf den Hof, damit die Kinder ihre Maske abnehmen und essen können. Nun ist das in der Praxis leider nicht realistisch. Allein der Weg durch das Treppenhaus kostet viel Zeit und wenn die Kinder dann ihr Brot herausholen, kann ich sie nicht nur einmal abbeißen lassen. Danach muss man sich auch wieder im Unterricht fokussieren und überlegen, wo man eigentlich war. Schätzungsweise geht also wirklich ein Drittel der Unterrichtszeit einfach verloren.
Man hört auch viel Kritik zu der Entscheidung, die Schulen offen zu lassen. Wir würden Sie sich zu dieser Thematik positionieren?
Also ich habe da eine recht klare Meinung. Ich finde die Debatte, die ich zumindest in der Öffentlichkeit wahrnehme, deutlich verkürzt. Da findet meiner Meinung nach eine Polarisierung von „Schwarz-Weiß-Malerei“ statt. Es geht nur darum, Kindergärten und Schulen offen zu halten, aber nicht darum mal differenzierte Lösungen zu suchen.
Natürlich müssen die Kinder betreut werden, aber bei den älteren Schülern hat man ja aus dem Frühjahr positive Erfahrungen gesammelt. Daher könnte man da zu einem „Homeschooling“ oder zu Szenario B übergehen. Da wir nämlich die volle Personenanzahl an der Schule haben, herrscht nach meiner Wahrnehmung ein relativ hohes Infektionsrisiko.
Zudem werden in der öffentlichen Debatte primär die Kinder als Betreuungsfälle betrachtet. Was gar nicht vorkommt, ist die Lehrkraft als Person. Zumindest höre ich nichts. Wir sind eben nicht nur Lehrer, sondern auch Menschen, die Angst um ihre eigene Gesundheit und Angehörigen haben. Wir sind auch Eltern, die nachmittags den Unterricht vorbereiten wollen, aber den Kindern helfen müssen, da diese sich teilweise im Homeschooling befinden und mit den Aufgaben nicht gänzlich zurecht kommen.
Des Weiteren stört es mich, dass so getan wird, als hätten wir jetzt ganz normal geöffnete Schulen und ganz normal verlaufenden Unterricht. Das haben wir nicht! Wie bereits angesprochen fehlt erheblich viel Zeit. Also, dass hier Unterricht nach normalen Mustern verliefe, kann ich so nicht sagen, allerdings soll ich prüfen, als würden die normalen Bedingungen herrschen. Als Deutsch-Englisch-Lehrer muss ich zwei Klausuren jedes Halbjahr schreiben. Das heißt, es ist immer ein Gehetze, nenne ich es bewusst, bis zu den Herbstferien, dann zu den Weihnachtsferien und anschließend zu den Sommerferien. In der Zeit soll ich den Kindern Inhalte und Methodenkompetenz für Prüfungen vermitteln. Es kostet alles viel Zeit und Kraft und schlussendlich hat man die gleiche Zahl an Korrekturen auf dem Tisch.
Auch wenn die Entscheidungsträger natürlich unter Druck stehen, fehlt mir da der Mut der Kultusminister zur Reduktion der bereits ohnehin umfangreichen Kerncurricula.
Zur Person: Maik Eckstein ist Deutsch- und Englischlehrer am Scharnhorstgymnasium. Zudem ist er Vater von schulpflichtigen Kindern. Somit kennt er die Perspektiven der Lehrer und der Schüler.
Text: Tim Faust, Bild: Pixabay (Alexandra Koch), geführt am 20.08.2020