Mittendrin, aber bitte mit Abstand!

Die Unterstützung von hilfebedürftigen Familien während der Corona-Zeit. Systemrelevant – So sieht der Alltag eines Familienhelfers während dieser merkwürdigen Zeit aus!

S.el: Sie arbeiten ja mit dem Jugendamt zusammen. Welche Problematiken löste Corona dabei aus?

Beim ersten Lockdown war das Amt praktisch geschlossen. Die Türen waren zu, man hatte Schwierigkeiten hineinzukommen und Gespräche wurden verschoben. Eigentlich sollten die Ämter zu Anfang durch Homeoffice erreichbar sein, jedoch fehlte die nötige technische Ausstattung. Die meisten gängigen Apps, wie Whatsapp, dürfen wir aus Datenschutzgründen nicht verwenden. Eine Zeit lang mussten wir sie notgedrungen trotzdem nutzen. Dies wurde aber sehr ineffektiv vor dem Hintergrund, dass die meisten Inhalte dafür geschwärzt werden müssen.

S.el: Welche Folgen hatte dies für ihre Arbeit?

Das Fallvolumen, was sonst abgefragt worden ist, war deutlich geringer als normalerweise. Es kamen durch die genannten Gründe keine Familien in die Jugendämter. Daher senkte sich der Input und damit auch das Output, das heißt, wir hatten weniger Arbeit.

S.el: Wie managten Sie die Lage zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown?

Sitzungen durfte man erlaubterweise bei offenem Fenster oder draußen führen. Das technische Equipment oder auch die Software wurden dennoch nicht an den Start gebracht, sodass man hätte sagen können „Jetzt haben wir es einheitlich“.

S.el: Kam es in den Familien verstärkt zu Belastungen aufgrund der Corona-Situation?

Alleinerziehende sind schnell auf Grund gelaufen, vor dem Hintergrund, dass man sich zerreißen musste, um für Job, Haushalt und Kinder trotz der Einschränkungen zu sorgen. Mit geschlossenen Schulen und Kindergärten funktioniert das System einfach nicht. Auch die sozialen Kontakte fehlen den Menschen. Die Struktur funktioniert, so wie sie gedacht ist, nämlich nicht. Bei den ärmeren Familien ging es ans Geld, da die billigeren Produkte in den Läden alle durch den Mittelstand ausverkauft waren und sie teurere Dinge kaufen mussten. Das ständige Aufeinanderhocken führte auch vermehrt zu Konflikten. Die Probleme, welche in den Familien sind und geregelt werden müssen, traten stärker hervor.

S.el: Wie war es möglich, die Corona-Regelungen bei der Arbeit mit Kindern enzuhalten?

Manche Kinder hatten aufgrund des niedrigen sozialen Kontakts ein höheres Bedürfnis aktiv zu werden, z.B. durch Basteln. Dabei ist die Distanz einfach nicht aufrechtzuerhalten, aber das Bedürfnis muss befriedigt werden, damit die Kinder nicht enttäuscht aus der Geschichte hinausgehen.

S.el: Wie denken Sie und die Familien über die sozialen Corona-Einschränkungen?

Die gerade angedachte Regel, dass jedes Kind nur einen Kontakt-Partner haben darf, ist ei gedankliches No-go. Jedes Kind müsste bei seinen Freunden den besten heraussuchen und die anderen als zweit- oder drittklassig titulieren und dies hat Schaden, der später deutlich wird. In Familien mit z.B. drei Kindern wird schon diskutiert, ob jeder einen Kontaktpartner haben darf oder ob einer für drei angedacht ist. Die Disskusions- und Annahmebereitchaft für solche Einschränkungen ist sehr klein und ich denke auch gerechtfertigt, weil wir soziale Wesen sind.

S.el: Sie hatten ja auf finanzielle Schwierigkeiten hingewiesen, war die Unterstützung der Familien in der Corona-Zeit durch mehr Kindergeld zielführend? Wie waren Ihre Erfahrungen?

Daran zu denken, ist sicherlich schon zielführend gewesen. Der Nachteil war der bürokratische Ablauf; Bedarf im März, Auszahlung erst im Juni. Wir hatten im April schon Familien, die kein Geld mehr hatten.

S.el: Bei Ihrer Arbeit haben Sie ja persönlichen Kontakt zu Familien. Waren Sie in einer Familie, wo es einen Corona-Fall gab, der später herauskam und wenn ja, wie mussten Sie und die Familien sich verhalten oder hätten sich verhalten müssen?

Wir hatten nur Sekundärfälle. Die Firma ist aßerdem in drei Gruppen, die sich nicht mireinander scheren, geteilt, damit, falls ein Corona-Fall auftritt, nur ein drittel in Quarantäne mussund zwei drittel weiterarbeiten können. Die Familien haben ein Merkblatt bekommen, wie sie uns zu informieren haben. Wir sind ebenso in der Meldepflicht nd versuchen die Ansteckungsgefahr dadurch zu minimieren, dass wir nicht mehr zu zweit in Fälle gehen, sondern einzeln.

S.el: Gab es auch positive Erfahrungen der Familien mit der Corona-Situation?

In vielen Familien war es so, dass die Leute gesagt haben, wir haben mal zusammen gekocht, gebacken, etc… Dinge, für die man sonst nicht die Zeit gefunden hat. Man hat neue Seiten innerhalb der Familie kennengelernt und wir auch im Umgang mit Ihnen.

S.el: Welchen Rat würden Sie Familien in der momentanen, besonders schwierigen Zeit mit auf den Weg geben?

Seid offen für Anmerkungen, etwas sensibler im Umgang mit euren Mitmenschen und toleranter. Lasst die Zeit, die ihr habt, nicht zu monoton durchlaufen, sondern versucht, mit guter Laune oder kleinen Ideen die ganze Situation etwas aufzuhellen. Gebt euch Raum. Erlebt das Miteinander vielleicht auch mal ganz neu, indem ihr darauf achtet, welche netten Wesenszüge und Ideen eure Angehörigen eigentlich besitzen.

S.el: Ich bedanke mich für das Gespräch.


Zur Person: Mein Interviewpartner möchte anonym bleiben. Er ist seit 28 Jahren Diplomatischer Sozialpädagoge und seit 13 Jahren Psychotherapeut. In seinem Beruf betreut er hilfebedürftige Familien.

Text: Emely-Lina Schröder; Beitragsbild: Pixabay; Interview geführt am: 19.11.2020