Isoliert

eine Reflexion von Mika Wehner

Eines Abends geht eine Frau durch ein Industriegebiet. Sie ist umgeben von großen Häusern und Hallen. Die Frau sieht eine offene Tür, die ins Innere eines Hallenkomplexes führt. Sie geht hinein und sieht sich um. Sie bemerkt, dass sie in einem Raum, nicht größer als 20 m2, steht. Komischerweise brennt das Licht. Plötzlich hört sie ein lautes Knallen. Die Tür ist vom Wind zugefallen. Die Frau ist eingeschlossen. Isoliert.

Sie hämmert gegen die Tür und ruft, aber es ist schon lange nach Betriebsschluss. Niemand hört sie. Sie bekommt Angst. Unbegründete Angst, weil der Betrieb am nächsten Tag schließlich weitergeht. Panisch sucht sie nach Essen und anderen nützlichen Dingen. In einem Schrank in der Ecke findet sie zwei große Packungen Klopapier und einen Korb Bananen. Sie nimmt sich so viel Klopapier, wie sie halten kann und kehrt zu ihrem Platz zurück. Erschöpft sinkt sie an die Wand und hat plötzlich eine ganz andere Eingebung.

Was, wenn jemand geplant das Licht angelassen hat, um sie anzulocken und einzusperrren? Klingt logisch, immerhin hätten davon sehr viele Menschen einen großen Vorteil! Schnell merkt sie, was für einen Quatsch sie da redet, und wie wenig Sinn es macht, die Schuld auf andere zu schieben. Vollkommen überfordert mit der Situation stellt sie sich viele Fragen: „Wann komme ich hier raus? Wann kann ich wieder andere Personen sehen? Reicht mein Essen überhaupt?“ Eine Mischung aus Traurigkeit, Frust und Stress macht sich in ihr breit.

Doch dann, wie durch ein Wunder, beginnt sie, ihre 20m2 zu schätzen. Übermannt von ihren negativen Gefühlen hat sie die Schönheit dieser Lagerhalle übersehen. Ihr fallen die Pflanzen auf, die schönen Bilder, das bunte Licht und der Holzfußboden. Sie erfreut sich an dem eigentlich doch gar nicht so schlechten Anblick, als sie plötzlich etwas hört. Es ist leise, aber es wird immer lauter. Es klopft an der Tür. Sie reißt die Tür auf und blickt in die überraschten Augen eines Fabrikarbeiters.

Ohne zu zögern oder nur auf ihn zu achten, springt sie auf die Straße und rennt zu ihrer Wohnung. Sie schließt die Tür auf und ist unfassbar erleichtert. Nach ein paar Stunden Erholung fällt ihr etwas auf. Plötzlich findet sie es gar nicht mehr so belastend: Ihre Freunde nicht zu sehen. Nicht zur Arbeit zu gehen. Keine sozialen Kontakte zu haben. Die Frau fängt an, ihre Wohnung wertzuschätzen, und das, was sie hat zu genießen. Sie ist nicht mehr eingeschränkt in ihren Möglichkeiten, sondern ist zufrieden mit dem, was sie hat. Und dann, auf einmal, ist das Coronavirus gar nicht mehr so schlimm.

Da mein Reflexionstext eventuell etwas schwer zu verstehen ist, möchte ich ihn hier noch etwas erklären. Der Text erzählt meine Sicht auf den Umgang der Gesellschaft mit dem Coronavirus in Form einer Frau. Teilweise sind auch meine Gefühle beschrieben, was mich bedrückt und verärgert hat. Die Geschichte enthält Anspielungen auf präsente Themen, wie Hamsterkäufe und Verschwörungstheorien.

Moral: Die meisten Menschen wollen immer das, was sie gerade nicht haben. Im Sommer will man Winter und im Winter will man Sommer. Das zu schätzen, was man hat, ist die Moral der Geschichte. Diese Erkenntnis hatte ich vor ein paar Wochen.