Hebammen: Zwischen dem Wunder des Lebens und großer Not
Schließende Kreißsäle, überarbeitete Hebammen* und verunsicherte Eltern – Der Fachkräftemangel auf den Entbindungsstationen ist längst Realität. Dieser Zustand ist nicht nur für werdende Eltern und Hebammen selbst belastend, sondern bringt weitere ernstzunehmende Gefahren mit sich.
Seit 2011 nehmen die Geburten in Deutschland langsam wieder zu. Die Ausnahmen bilden hier lediglich vereinzelte geburtenschwächere Jahrgänge. Zeitgleich entscheiden sich immer weniger Frauen dazu, den Job der Hebamme auszuüben. Parallel dazu steigen bereits ausgebildete Fachkräfte verfrüht aus der Geburtshilfe aus. Die Gründe hierfür sind schwer einplanbare Arbeitszeiten, eine hohe Verantwortung sowie ein geringes Einkommen.
Die vermehrten Geburten auf der einen Seite und die sinkende Zahl an Hebammen auf der anderen haben drastische Folgen. Immer mehr Geburtsstationen müssen schließen. Gab es im Jahr 1991 noch 1.186 Krankenhäuser mit Entbindungsstationen, waren es 2020 nur noch 621 – so der deutsche Hebammenverband. Daher ist es inzwischen keine Seltenheit, dass eine Hebamme zeitgleich zwei, in den schlimmsten Fällen drei bis vier Frauen unter der Geburt betreuen muss. Diese Situation ist aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen steigen der Stress sowie die psychische und körperliche Belastung der verbleibenden Hebammen an. Eine eins zu eins Betreuung unter der Geburt ist nicht mehr gewährleistet, da es an Zeit für die einzelnen Frauen mangelt. Dadurch erhöht sich wiederum das Risiko, dass Komplikationen unter der Geburt zu spät erkannt werden. Außerdem wird es immer schwerer, den gebärenden Frauen ein sicheres und gut betreutes Gefühl zu vermitteln. Dies ist zeitlich nämlich kaum realisierbar.
Ebenfalls abschreckend wirken die Arbeitszeiten der Hebammen. Die Geburtsstationen müssen rund um die Uhr besetzt sein. Sowohl nachts als auch an Wochenenden und Feiertagen ist es essenziell, dass Fachkräfte vor Ort sind. Des Weiteren sind durch die personellen Engpässe Überstunden häufig an der Tagesordnung. Diese Arbeitszeiten lassen sich meist nur schwer mit dem eigenen Familienleben vereinbaren.
Jede Geburt bedeutet eine hohe Verantwortung für die betreuende Hebamme. Genauestes Dokumentieren des Geburtsverlaufs ist also Pflicht. Sollte es während der Geburt zu Komplikationen kommen, kann die Hebamme nur so im Fall einer Klage seitens der Eltern beweisen, dass sie korrekt gehandelt hat. Bürokratische Aufgaben sind ein weiterer, zeitintensiver Teil dieses Jobs, werden allerdings nicht bezahlt.
Nicht nur die aktive Geburtshilfe gehört zum Beruf einer Hebamme, sondern auch die Vor- und Nachsorge für Mutter und Kind. Diese Aufgabe erledigen die freiberuflichen Hebammen. Anders als im Schichtbetrieb sind diese selbstständig und rund um die Uhr erreichbar. Macht sich ein Kind auf den Weg, muss die Hebamme zur Stelle sein. Je nach Wunsch der Frau und vorzeitiger Absprache kann die Geburt in Begleitung der freiberuflichen Hebamme in der Klinik, im Geburtshaus oder als Hausgeburt stattfinden. Anders als die Hebammen im Schichtbetrieb zahlen die freiberuflichen Hebammen eine Haftpflichtversicherung. Seit dem 1.7.2020 liegt diese bei 9.098 € jährlich. Dieser Kostenpunkt ist mit dem durchschnittlichen Einkommen einer freiberuflichen Hebamme von 77.500 € pro Jahr nur schwer zu bewältigen. Laut dem Magazin Doctari gaben seit 2010 auf Grund der hohen Haftpflichtversicherung fast 20% aller selbstständigen Hebammen ihren Beruf auf. Das erschwert es schwangeren Frauen, eine Hebamme für die Zeit vor und nach der Geburt zu finden. Der Wunsch nach einer Hausgeburt in Begleitung einer freiberuflichen Hebamme ist nur noch schwer zu erfüllen. Häufig muss auf die Klinik ausgewichen werden.
Hebammen gewährleisten den Babys einen sicheren Start ins Leben. Durch ihre Arbeit ermöglichen sie zahlreiche Familienglücke und tragen maßgeblich zum Erhalt der menschlichen Spezies bei. Dennoch erhält die Geburtshilfe bei Weitem nicht ihre verdiente Anerkennung. Die geringe Bezahlung zeigt, dass im deutschen Gesundheitssystem am falschen Ende gespart wird. Sie zwingt immer mehr Hebammen dazu, ihren vermeintlichen Traumberuf aufzugeben. Dies stellt die schwangeren Frauen und verbleibenden Entbindungshelfer vor viele Probleme. Ein Versuch, den Beruf wieder attraktiver zu gestalten, findet seit dem 1. Januar 2020 statt. Die Akademisierung der Hebammenwissenschaft ermöglicht es nun, durch ein Studium in den Beruf der Hebamme einzusteigen. Dennoch ist diese Maßnahme nicht genug, um die Hebammen in ihrer aktuellen Situation zu unterstützen. Es bedarf mehr Anstrengungen seitens der Regierung, um diesen überlebenswichtigen Beruf aufrecht zu erhalten.
*Der Begriff Hebamme schließt in diesem Artikel auch die Geburtshelfer ein.