Das Angebot des Teufels

Ich schloss meine Augen, doch die Stimmen verstummten nicht. „Du verdammter Nichtsnutz! Verstehst du nicht in welcher Rolle du bist? Du strapazierst meine Freundlichkeit! Soll ich die Geburtstagsfeier von meinem lieben Tommi etwa alleine organisieren? Alles muss perfekt sein! Ich hasse dich! Wofür bezahle ich dich?!“- Sie wollte einfach nicht aufhören, zu schreien. Mit dem Blick auf den schönen Marmorboden des Eingangsbereichs gerichtet, ließ ich es über mich ergehen. Ich wusste genau, was ich tat, als ich zu spät gekommen war. Mir war bewusst, dass dieser Teufel kein Mitgefühl zeigen würde, aber was sollte ich tun? Sollte ich diesen verwundeten Hund auf der Straße zurück lassen? Nein! Ich habe das Richtige getan. In einem Moment der Stärke dachte ich an das, wofür ich das alles tat. An dich! Das gab mir Mut: Ich richtete meinen Blick auf und sagte ihr ins Gesicht: „Wir haben jetzt noch zwei Stunden Zeit, bis die Gäste ankommen. Du kannst mich später immer noch feuern, aber jetzt brauchst du mich! So spontan wirst selbst du mit deinen Kontakten keine Putzkraft finden, die mich ersetzen kann. Also, wollen wir anfangen?“. Widerwillig akzeptiert Frau Willensbourth. Sichtlich in ihrer Autorität verletzt, versucht sie gar nicht erst zu überspielen, wie sauer sie über diese Situation ist, aber vor allem darüber, dass ich Recht hatte.

Also betrat ich das riesige Anwesen, zog meine Schuhe aus und blickte durch die riesige Fensterfront im Eingangsbereich auf die Stadt herab. Es war 15 Uhr und zu dieser Zeit beginnt die Sonne hinter dem riesigen Berg, der mit den Villen der Reichen überzogen ist, zu verschwinden, wodurch die Stadt langsam, aber sicher in dem Schatten der Reichen versinkt. Doch bevor ich diesem Gedanken zu Ende führen konnte, kam der kleine Tommi voller Freude die Treppe herunter gesprintet und sprang mich an. Natürlich gratulierte ich ihm zu seinem großen Tag und schenkte ihm neue Stifte. Auf meine Entschuldigung, dass es nicht viel sei, erwiderte er nur ein ehrliches „Danke“ und umarmte mich herzlich. Seine Mutter unterbrach dies sofort und befahl mit autoritärem Ton, dass er nach oben gehen solle, um sich fertig zu machen, da die Gäste bald kommen würden. Also zog sie ihr Kind regelrecht die Treppe hoch. „Sie wissen, was zu tun ist, Maria? Wenn Sie Fragen haben, lösen Sie das Problem, ohne mich zu nerven!“. Sofort machte ich mich an die Arbeit, um die verlorene Zeit aufzuholen. Schließlich hing mein Leben von diesem Job ab. Quatsch, mein Leben war mir egal. Es ging mir nur um dein Leben.

So dekorierte ich den langen, riesigen Tisch im Esszimmer und holte die Torte, die eher an einen Berg mit Schokolade überzogen erinnerte als an etwas tatsächlich Essbares. Natürlich war es zudem ebenfalls meine Pflicht, noch einmal das Haus von Grund auf zu säubern, sodass man sogar vom Boden hätte essen können. Nicht, dass es Frau Willensbourth auch nur in irgendeinem Szenario in Erwägung gezogen hätte, aber sie wollte sich nicht die Blöße geben, dass einer der Gäste auch nur ein winziges Staubkorn finden könnte. In diesem Falle könne sie sich nicht mehr bei ihrer Familie blicken lassen. Jedenfalls verrichtete ich meine übliche Arbeit in noch gründlicher und schmückte die Villa als wäre sie ein Festsaal. Alles ordentlich. Alles sauber. Alles schlicht. Alles reich. Nur eine Sache passte nicht hinein. In einem Haus, in dem alles perfekt sein musste, gab es diese eine Sache, die sich einfach nicht einfügen wollte. Diese alte Kellertür. Ein aus der Zeit gefallenes Holzbrett mit der Aufschrift: „Papas Arbeitszimmer.“. Aber wieso stand diese Tür da und wurde offensichtlich seit Jahren nicht ausgetauscht? Was war der Grund dafür? Oder noch wichtiger, was war in diesem Keller? Ich kannte jeden Winkel auswendig, aber dieser Keller blieb mir stets verborgen… Doch ich versuchte mir darüber keine großen Gedanken zu machen, wie es mir auch die Hausherrin befohlen hatte. Immerhin war das allein ihre Sache. Ich verrichtete weiter meine Arbeit.

Schnell zog auch schon etwas Anderes meine Aufmerksamkeit auf sich und das war der riesige Geschenketisch, der mitten im Raum wie auf dem Präsentierteller stand. Dieser Berg an Präsenten erinnerte eher an ein Lager von Amazon als an die Geschenke für einen 12 Jährigen. Wenn ich so etwas sah wurde ich immer traurig, dass ich dir nicht einmal eine einzige Sache von deiner Wunschliste besorgen konnte.

Später war es auch soweit. Die Gäste sollten schon bald eintreffen. Gerade als ich die letzte Vorbereitung traf, das viele Essen vom Caterer zu servieren, hörte ich plötzlich ein lautes Poltern. Ich schreckte auf. Was war das? Durch Magie zog es mich zu jener mysteriösen Kellertür. Kam das Geräusch von dort unten? Was ist da nur? Auf einmal lief es mir kalt den Rücken herunter, als eine Stimme aus dem Nichts zu mir sprach: „Das sind die Geister im Keller. Mama sagt mir, dass das Blödsinn sei, aber ich weiß es. Immer wieder höre ich es.“. Ich drehte mich um und erblickte Tommi, der frisch herausgeputzt im Anzug auf der Treppe stand und mich mit kaltem Blick ansah. „Was redest du denn da? Es gibt keine Geister!“, erwiderte ich, um ihn zu beruhigen, aber er antwortete nur: „Betty weiß es auch. An meinem letzten Geburtstag ging sie in den Keller und sie kam nie wieder…“. Bevor ich darauf weiter eingehen konnte, unterbrach uns seine Mutter wieder und lenkte vom Thema ab. Sie schickte Tommi wieder hoch und gab mir irgendeine Aufgabe, die so beliebig und irrelevant war, dass ich mich daran nicht einmal mehr erinnern kann. Doch eine Sache, an die ich mich noch genau erinnern kann, ist der Moment danach. Als ich weg gehen wollte, hörte ich ein seltsames Geräusch, dass ich nicht zuordnen konnte, aber es prägte sich ein. Es war nur ganz leise, aber es ließ mir keine Ruhe mehr. Ab diesem Zeitpunkt konnte ich das Geheimnis des Kellers nicht mehr aus meinem Kopf verdrängen, auch wenn ich es wirklich versucht habe.

Zwei Stunden später: Ich spielte die Kellnerin für all die Gäste, die mich von A nach B scheuchten. Dabei lief ich extra oft an der besagten Kellertür vorbei. Es wollte mich einfach nicht los lassen. Dennoch verrichtete ich meine Arbeit als Hauself vorbildlich und erfüllte alle Wünsche der Gäste. Immerhin sah ich eh keine Möglichkeit, hinein zu gelangen. Dies änderte sich jedoch relativ schnell.

Nach gewisser Zeit kam ein Herr mittleren Alters zu mir. Wenn ich mich richtig erinnere, müsste dieser Tommis Onkel gewesen sein, der vehement nach Wein verlangte. Das Problem war nun, dass der Wein im Keller stand, zu dem ich keinen Zugang hatte. Er wollte aber nicht nachgeben. Ich solle gefälligst den Wein auftreiben. Oder bestand ich darauf, den Wein irgendwie aufzutreiben? Ich weiß es nicht mehr genau. Jedenfalls suchte ich quer durch den Raum nach Frau Willensbourth, die allerdings in einem wichtigen Gespräch gewesen zu sein schien. Da kamen mir ihre Worte wieder in den Kopf, dass ich die Probleme selbst klären solle. Also durchsuchte ich ihre Tasche, die sie in ihrem Zimmer aufbewahrte. Wenn der Schlüssel irgendwo war, dann in dieser Tasche, in der sie alles wichtige verstaute. Das hatte ich mir bereits vorher gründlich überlegt. Dort fand ich ihn dann schließlich auch.

Im Getümmel der Feier ging ich also zu dieser Kellertür. Was würde mich dort hinter wohl erwarten? Gespannt steckte ich den Schlüssel ins Schloss und er passte! Die Tür ging also langsam auf und knirschte laut. Glücklicherweise konnte dies keiner hören. Da stand ich nun. Hinter mir die Feier, auf der alle Spaß hatten und vor mir der dunkle Gang nach unten. Zweifel kamen in mir auf. Sollte ich das wirklich tun? Schließlich stand mir das Recht gar nicht zu. Aber ich hatte keine Wahl mehr. Meine Beine bewegten sich wie von alleine. Ich schloss die Tür und stand im Dunkeln. Vorsichtig tastete ich mich die alte Treppe hinunter und suchte verzweifelt nach einem Lichtschalter. Ich fand ihn nicht und ehe ich mich versah stand ich mitten in einem kalten Raum. Um mich herum nichts als Dunkelheit. Stille. Man sagt, dass man im Dunkeln eigentlich keine Angst davor hat, alleine zu sein, sondern eben davor, nicht alleine allein zu sein und so war es auch. Als ich plötzlich Geräusche von Ketten hörte, die sich bewegten, blieb mein Herz stehen. Ich bereute direkt, hier hinunter gestiegen zu sein. Panisch suchte ich die Wand ab. Wo war der verdammte Lichtschalter?!

Irgendwann kam die Erlösung, als ich mit meiner Hand den Lichtschalter spürte. Allerdings begann das Licht zu flackern, was die Situation sogar noch gruseliger machte. Da sah ich es. Das Bild, was mich bis heute in meinen Träumen verfolgt. Ich war hier unten nicht alleine. Unter der flackernden Glühbirne kniete ein abgemagerter und kreidebleicher Mann. Schnell rannte ich panisch in Richtung der Treppe, bis ich es realisierte. Er konnte mir nichts anhaben, denn er war angekettet. Ich werde niemals vergessen, wie er seinen Blick auf mich richtete. Dieser leere Blick. Er bekam kaum ein Wort heraus. Leise sagte er nur: „Hilf mir.“. Dieser Blick…

Plötzlich hörte ich eine Stimme hinter mir: „Ein Jammer, dass du neugierige Göre so naiv warst.!“. Ich zuckte zusammen und wusste, dass es das Ende war. Langsam drehte ich mich um und erblickte Frau Willensbourth, die sich hinter mir wie ein böser Geist auftat. So viele Gedanken in meinem Kopf: „Wer ist dieser Mann? Wieso ist er hier gefesselt. Seit wann ist er hier gefangen? Was wird jetzt mit mir passieren?“ Doch kein Wort verließ meine Lippen. Sie redete weiter: „Dieser Mann, den du da siehst. Der hat vor 3 Jahren meinen Ehemann ermordet. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an ihn denken muss. Er hat es verdient, hier zu sein…“. Was sollte ich schon darauf antworten? Ich wollte nur schreien, aber es kam nichts. Ich schloss bereits mit meinem Leben ab. Ich war mir sicher, dass ich jetzt sterben würde. Doch da machte mir der Teufel ein Angebot: „Du brauchst doch Geld für dich und deinen Sohn, richtig? Ihr lebt in Armut. Ich kann euch helfen. Du musst nur schweigen. Vergiss, was du hier gesehen hast und ihr müsst nie mehr um euer Überleben kämpfen. Sei nicht so töricht wie die letzte Haushälterin. Nimm mein Angebot an und all deine Träume werden in Erfüllung gehen. Es ist ein kleiner Preis.“.

Der Teufel streckte mir seine Hand entgegen. Sollte ich sie nehmen? Meine Blicke wanderten zwischen ihr und dem gefesselten Mann hin und her, der aussah als wäre er schon lange gestorben. Sollte ich das Richtige tun oder uns eine Zukunft sichern? Was ist überhaupt „das Richtige“? Ich traf meine Wahl. Urteil bitte nicht über mich. Ich würde es wieder genauso tun. Sag mir: Wie weit würdest du denn für deine Ziele gehen? Würdest du all deine Prinzipien über den Haufen werfen? Würdest du hinnehmen, nicht mehr in den Spiegel schauen zu können? Ich wette, du würdest…

Verfasser: Tim Faust; Beitragsbild: Pixabay (Kellepics)