WM der Ausbeutung – Boykott oder Wintermärchen?

Am 20. November beginnt die wohl umstrittenste und mit 200 Milliarden Dollar teuerste Weltmeisterschaft bisher. Die Fußball WM findet in Katar, einem kleinen arabischen Wüstenstaat, statt. Doch warum wird sie so stark kritisiert und wie konnte es eigentlich dazu kommen?

Zunächst einmal zu Katar: Katar ist ein kleines Emirat mit rund 2.7 Millionen Einwohnern von denen allerdings nur 10% Staatsangehörige Katars sind. Die restlichen 90% sind sogenannte Arbeitsmigranten. Daher ist die Bevölkerung sehr stark von einer Zwei-Klassengesellschaft geprägt. Entweder man ist eine der reichsten Personen der Erde oder eine der ärmsten und muss für die reiche Oberschicht arbeiten. 

Regiert wird das Emirat, wie es der Name schon verrät, von einem Emir. Der aktuelle Emir heißt Tamim bin Hamad Al Thani und gehört zur Königsfamilie Al Thani. Es ist eine absolute Monarchie, in der alle wichtigen Entscheidungen allein der Königsfamilie vorbehalten sind. Neben Macht haben sie vor allem eins: Geld, das durch die riesigen Erdölvorkommen zustande kommt.

Wie konnte so ein kleines Land die Vergabe der Weltmeisterschaft gewinnen?
Was viele nicht wissen: Katar befindet sich auf dem Weg zu einer Fußball-Großmacht und ist bereits jetzt an nahezu allen wichtigen Entscheidungen des internationalen, aber auch europäischen Fußballs beteiligt. 
So auch bei der Vergabe der WM im Jahr 2010. 

Vergeben wird eine Weltmeisterschaft durch den Fußballverband FIFA. Genauer gesagt durch das FIFA-Exekutivkomitee (mittlerweile FIFA-Rat) bestehend aus 24 Mitgliedern. Die Mitglieder sind ausgewählte Vertreter der Fußballverbände jedes Kontinents. Für Europa ist dies beispielsweise die UEFA. Bei der Wahl hat jedes Mitglied eine Stimme, die meist über mehrere Wahlgänge über den Austragungsort des Turniers entscheidet. 

Doch was, wenn die Mitglieder des Komitees käuflich werden und Geld für die Stimme von Bewerberländern annehmen?
Das nennt sich Korruption und ist im internationalen Fußball-Business bereits weit verbreitet. So kaufte sich auch Deutschland in ganz ähnlicher Weise die WM 2006 aus wirtschaftlichen Interessen ein.

Doch nun zurück zu Katar. Denn wenige Tage vor der Vergabe fand ein interessantes Abendessen im Elysée-Palast in Frankreich statt. Der damalige französische Präsident Nicolas Sarkouzy lud neben Fußballfunktionär Michel Platini, der als Präsident der UEFA bei der Wahl zur WM Vergabe stimmberechtigt ist, auch den Emir von Katar ein. Was genau besprochen wurde ist nicht bekannt, allerdings stimmte Platini wenige Tage später für Katar, sein Sohn wurde Europachef bei der Firma „Qatar Sports Investment“, die ein Jahr später in den Lieblingsclub des Präsidenten Sarkouzy investierte: Paris Saint-Germain (kurz PSG).

Im selben Jahr, also 2011, wurde der Katari Nassa Al-Khelaïfi Präsident vom französischen Hauptstadtclub. Als neuer Präsident hatte Al-Khelaïfi zwei Aufgaben: zum einen sollte er ein weltklasse Team aufbauen, zum anderen sollte er Katar Titel und Einfluss im Fußball sichern. Seine Strategie war eindeutig: er erzeugte einen Starkult, indem er Spieler verpflichtete, die auch als Marke funktionierten. Neben dem schwedischen Superstar Zlatan Ibrahimovic folgten so Kylian Mbappé, der Brasilianer Neymar und nicht zuletzt der sechsmalige Weltfußballer Lionel Messi. Katar kriegt im Gegenzug Titel. Sie sind seit der Übernahme mehrfacher französischer Meister und Pokalsieger. Einzig der Championsleague-Titel blieb bisher aus. 

Aber die Kataris investieren nicht nur in PSG, auch Barcelona und sogar der FC Bayern wirbt mit dem Schriftzug „Qatar Airways“ auf den Ärmeln für das Emirat. Ganz zur Empörung der Fans. So eskalierte die letzte Jahreshauptversammlung im Oktober 2022. Die Bayern-Bosse um Uli Hoeneß und Oliver Kahn lehnten den Antrag, den im Sommer 2023 auslaufenden Vertrag auslaufen zu lassen, ab. Die Fans empörten sich daraufhin lautstark.

Was Katar hier macht nennt sich „Sportswashing“. Das heißt, dass das Image eines Landes mithilfe des Sports aufpoliert wird. So lässt sich von Menschenrechtsverletzungen, Krisenerscheinungen oder politischen Systemen ablenken. Auch andere Länder wie Japan oder Südkorea machten sich dies bereits zu nutze und holten sich große Sportereignissen in ihr Land, um in ein besseres Licht gerückt zu werden. 

Welche Motive hat Katar und warum geben sie 200 Milliarden Dollar aus, obwohl sie wissen, dass sie das Geld nicht wieder reinbekommen werden?

Neben dem bereits erwähnten „Sportswashing“ spielt der Begriff „Softpower“ ebenfalls eine wichtige Rolle. Dabei geht es um das Pflegen internationaler Handelsbeziehungen ohne Gewalt und die Ausübung von Macht auf eher indirekte Weise. Denn als kleiner Wüstenstaat fühlt sich Katar verletzlich. Macht und Einfluss sollen so das Land schützen und Katar in ein positives Erscheinungsbild stellen und bekannt machen. Daher baut Katar mithilfe von sieben neuen Stadien eine Fassade auf, die sie der Welt präsentieren möchten. Die WM wird also als eine Art Werbeshow für das arabische Emirat.

Doch was verbirgt sich hinter der Fassade?
Mit der Werbeshow möchte Katar die Menschenrechtsveletzungen im eigenen Land überspielen.
Seit der Vergabe 2010 kamen circa 15.000 Menschen ums Leben. Die Todesursache ist meist ungeklärt, obwohl Katar die finanziellen Mittel dazu hätte diese aufzuklären. Stattdessen werden oftmals Herzfehler oder natürliche Tode als Todesursache angegeben.
Bei den Arbeitsbedingungen auf den Baustellen der Stadien, Straßen und Hotels ist es allerdings sehr wahrscheinlich, dass ein Zusammenhang besteht. 

Die Gastarbeiter kommen zum Beispiel aus Indien oder Nepal und werden in Katar ausgebeutet. Bei der Ankunft der Gastarbeiter werden ihnen häufig die Ausweisdokumente abgenommen. Danach leben sie in Arbeitercamps mit mehreren auf engstem Raum, bekommen wenig zu essen und müssen teilweise bei 40° in der Sonne an den Stadien arbeiten, die nach der WM nicht mehr wirklich gebraucht werden. Den Lohn, auf den die Arbeiter und besonders die Familien in den Heimatländern angewiesen sind, bekommen die Meisten entweder zu spät oder gar nicht. Der Mindestlohn beträgt in Katar 250 Dollar pro Monat und das in einem der reichsten Länder der Welt.

Und die FIFA? Die übersieht das alles. Aber nicht nur das. Neben den Menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen die gegen internationales Recht verstoßen, ignorieren sie teilweise eigene Richtlinien. Abgesehen von der Regelung, dass eine WM eigentlich im Sommer stattfinden muss, gibt die FIFA selber zu, dass Katar die schlechteste Bewerbung unter allen fünf Bewerbern eingereicht hatte. 
Und auch Werte wie Vielfalt und Gleichberechtigung, die sich die FIFA gerne auf die Fahnen schreibt, werden in Katar nicht ernst genommen. Beispielsweise verlangt die FIFA bei der Bewerbung eigentlich, dass auch der Mädchen- und Frauenfußball gefördert werde. Die katarische Nationalmannschaft wurde 2009 gegründete, absolvierte 2010 ihr erstes Fußballspiel und bestritt das bis jetzt letzte bereits 2014. In der FIFA Weltrangliste sind sie nicht einmal aufgeführt.
Auch im Alltag stehen die Frauen unter männlicher Vormundschaft und dürfen das Haus nur komplett verschleiert verlassen. Sie werden als minderwertig angesehen und besitzen nur sehr eingeschränkte Rechte.
Des Weiteren findet die Weltmeisterschaft in einem Land statt, wo Homosexualität per Gesetz verboten ist. Einer der Botschafter und Repräsentanten der WM bezeichnete es als „geistigen Schaden“ homosexuell zu sein und bestand darauf, dass man auch als Besucher seine Sexualität nicht frei ausleben dürfe, da so die Kinder etwas lernen würden, was schädlich ist. 

Was bringt ein Boykott der WM?
Durch den Boykott würde die Werbung, die Katar für das Land machen möchte, um das Image zu verbessern, keine Aufmerksamkeit und Wertschätzung bekommen.
Zusätzlich spricht für den Boykott, dass die FIFA über die Hälfte, genauer gesagt 53%, ihrer Einnahmen durch den Verkauf und die Vermarktung von TV-Rechten verdient. Gut, die jetzigen Rechte sind schon lange verkauft, allerdings könnte sich das in Zukunft bemerkbar machen, sollten die nächsten Weltmeisterschaften in ähnlich kritische Länder vergeben werden und weniger TV-Sender die Spiele übertragen wollen.

Auf der anderen Seite möchten die deutschen Nationalspieler um Leon Goretzka Zeichen setzen: „Es ist unsere Aufgabe Werte zu vermitteln, die uns wichtig sind“ so der Mittelfeldakteur im Rahmen eines Interviews mit dem ZDF. Er plädiert also dafür ganz genau hinzugucken.
Das unterschreiben sicher auch die anderen Spieler die gerade zum ersten Mal überhaupt für die DFB Auswahl nominiert worden sind. Dazu zählen beispielsweise Niclas Füllkrug (Werder Bremen) und Youssoufa Moukoko (BVB). Ihr ganzes Leben trainieren sie auf Momente wie diese hin und nun will die ganze Welt wegschauen, wie sie den vielleicht sportlich wichtigsten Moment ihrer Karriere erleben. 

Was nun? Schauen oder lieber nicht?Abschließend lässt sich feststellen, dass es bei aller Liebe zum Sport bestimmt kein Wintermärchen wird. Dafür ist die gesellschaftliche Lage im Land zu schlimm und der Sport zu unwichtig, um darüber hinweg zu sehen.
Dennoch bietet die WM eine Chance genau auf diese Missstände aufmerksam zu machen und den Sport zu nutzen, damit es in Zukunft bei Vergaben anders abläuft. 

Am Ende muss jeder für sich entscheiden, ob die Leidenschaft zum Sport oder die Vernunft überwiegt. 

Was denkt ihr über das Thema? Sollte man die WM schauen oder nicht? Welche Argumente sind euch besonders wichtig?

Wenn euch das Thema interessiert und ihr noch mehr darüber erfahren wollt, könnt ihr euch unter folgenden Links gut informieren:

1. „Geld Macht Katar“ – ARD, Die Zeit

2. „Geheimsache Katar“ – Jochen Breyer, Julia Friedrichs