Besonnener Politiker mit klarem Appell

Immer noch beschäftigt die Corona-Pandemie unser aller Leben maßgeblich. Besonderes über das Thema Schule wird heftig debattiert. Anlässlich dieser herausfordernden Situation sprach ich mit dem niedersächsischen Kultusminister, Grant Hendrik Tonne, über die angespannte Lage in den Schulen.


Kultusminister Tonne und Laurent Helbing (von links nach rechts)

Laurent Helbing: Aufgrund der Dynamik dieser Pandemie gibt es häufig angepasste Regeln und Vorschriften. Für Schüler*innen, Lehrer*innen, aber auch Eltern stellt das eine große Herausforderung dar. Wie schätzen Sie diese Situation ein?

Minister Tonne: Ja, es ist für uns alle kompliziert dennoch versuchen wir es für alle Beteiligten so transparent wie nur irgend möglich zu machen. Wir schicken unter anderem jede Woche einen Brief an die Schulen und jede zweite Woche an Eltern wie auch Schülerinnen und Schüler, um immer wieder ein bisschen zu informieren, zu sagen, was kommt da auf euch zu und warum. Alles mit der Intention mehr Sicherheit im Umgang zu vermitteln. 

Laurent Helbing: Welche Entwicklungen halten Sie persönlich in den nächsten Monaten an den Schulen für realistisch? 

Minister Tonne: Ehrlich gesagt gibt zum jetzigen Zeitpunkt keine vernünftige Prognose, von der man ausgehen kann, dass diese zutrifft. Dennoch versuchen wir, uns an der Prämisse zu orientieren soviel Normalität zu ermöglichen, wie es die Situation zulässt. Ein Versprechen meinerseits: „Wir werden keine Maßnahme unnötiger Weise lang laufen lassen und wir werden auf keine, die nötig ist, verzichten.“ Alles mit dem Ziel Gesundheits- und Infektionsschutz, sowie Bildung und Betreuung so gut es geht übereinander zu legen. 

Laurent Helbing: In den letzen Wochen haben wir einen rasanten Anstieg der Fallzahlen in Niedersachen zu verzeichnen. Was würden Sie sagen, wenn sich der rasante Anstieg, trotz des „Teil-Lockdowns“ nicht abflacht? 

Minister Tonne: Zuerst einmal müssen wir jetzt circa zwei Wochen durchhalten, um zu sehen, ob die beschlossenen Einschränkungen Wirkung zeigen. Dies ist enorm schwierig und total unbefriedigend für alle. Wenn das unter dem Strich alles nichts wird und der Anstieg weitergeht, dann muss allen klar sein, dass auch Schulen und Kitas von härteren Maßnahmen betroffen sein können. Davon sind wir momentan, richtigerweise,  ausgenommen, aber wir sind nicht sakrosankt. Möglicherweise müssen wir dann über Szenario B und sogar C reden. 

Laurent Helbing: Gerade wenn es zum Lockdown kommt, gibt es viele Haushalte, die nicht die Infrastruktur für digitale Bildung besitzen. Diese sind in solchen Zeiten besonderes benachteiligt. Würden Sie es also grundsätzlich begrüßen, die Schulen so lange es geht, offen zu halten? 

Minister Tonne: Zum zweiten Teil ganz klar ja, aber die Begründung würde ich noch etwas weiter fassen. Der Lockdown hat nochmal ganz deutlich gezeigt, welch hohen Wert das gemeinsame Lernen in der Schule besitzt. Selbst bei allerbester digitaler Ausstattung kann das Lernen auf Distanz den Präsensunterricht nicht zu 100% kompensieren. Es ist kein eins zu eins Ersatz. Dies muss man immer wieder deutlich sagen und dann wird auch erkennbar, warum wir den Präsenzunterricht mit so viel Kraft schützen wollen. Vorher haben wir diesen als selbstverständlich wahrgenommen. 

Laurent Helbing: Welche Rückmeldungen bekommen Sie hier im Ministerium von Schülerinnen und Schülern, aber auch Eltern über die Schule in Zeiten von Corona?

Minister Tonne: Wenn Leute Bedenken haben oder eine Entscheidung falsch finden, kommt das hier im Ministerium an. Es kommen zum Beispiel Zuschriften von Schülern, die es nicht nachvollziehen können, dass sie am Vormittag mit zahlreichen Mitschülern in einer Klasse sitzen, aber am Nachmittag im Freizeitbereich nur eine Person treffen dürfen. Aus deren Sicht ist es ein Widerspruch. Dagegen anzugehen und zu sagen: „Nein, wir begrenzen es gerade im Freizeitbereich, damit die Schulen auf bleiben“, ist wichtig. Ich habe ein Lieblingsbeispiel aus dem Landkreis Cloppenburg. Da hat sich die gesamte Fussballmanschaft durchinfiziert.

Laurent Helbing: Wie stehen Sie persönlich zur Dezentralisierung von Entscheidungen rund um die Schule, sprich mehr Entscheidungsfreiraum an die Schulen abzugeben?

Minister Tonne: Wir erleben in dieser Krise, dass das Vertrauen und Zutrauen in die Fähigkeit der Schulen, für sich selbst angemessen zu entscheiden, gut ist. Wir können auch auf verschieden Wegen gute, vergleichbare und qualitativ hochwertige Ergebnisse erreichen. Dies mag möglicherweise auch eine Ableitung für die Zukunft sein, nicht alles bis ins kleinste Detail zu regeln und vorzugeben, um den Schulen die Freiheiten zu geben, damit diese sie in ihrem Sinne und im Sinne der Schüler*innen, nutzen können. 

Laurent Helbing: Sie haben als niedersächsischer Kultusminister das höchste Amt im Bildungssystem inne und stellen für Schülerinnen und Schüler, für Lehrerinnen und Lehrer und auch für Eltern eine große Autorität dar, wenn es um die Schule geht. Wie gehen Sie mit dieser schwierigen Situation um und was können Sie uns mit auf den Weg geben, das Mut für die Zukunft macht? 

Minister Tonne: Wie geht man damit um? – Ich glaube, man ist gut beraten, sich immer wieder die Freiräume zu suchen, sich nicht davon auffressen zulassen, sondern sehr bewusst zu sagen: „Ja, da gibt es Unsicherheiten und ja, es ist nicht alles gelöst, aber heute spielt das mal keine Rolle.“ Genau das steht jedem von uns zu.


Zur Person: Herr Grant Hendrik Tonne ist am 22.06.1976 in Bad Oeynhausen geboren. Nachdem er 1995 sein Abitur am Gymnasium Petershagen abgelegt hatte, widmete er sich bis 2000 dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bremen. Im Jahr 2002 heiratete er und hat heute mit seiner Ehepartnerin Monika Tonne-Herrmann vier Kinder. Sein 2. juristisches Staatsexamen legte er 2007 im OLG Bezirk Celle ab. Von 2008 an war er Abgeordneter im Landtag in Niedersachen bis Herr Tonne am 22.11.2017 das Amt des niedersächsischen Kultusministers übernahm.

Text: Laurent Helbing; Bild: Pixabay (Elchinator); Interview geführt am 05.11.2020