Wie die AfD ihre Wählerschaft manipuliert

Aus Protest rechtspopulistisch – trotz Menschenfeindlichkeit

Galt die AfD vor ein paar Jahren noch als Partei konservativer Sozial- und Wirtschaftspolitik, verbindet man mit ihr heute eher die abwertenden Aussagen gegen Migranten und andere Minderheiten, wie zum Beispiel Menschen des LGBTQ-Spektrums. So sorgten zuletzt die von Correctiv aufgedeckten Pläne der sogenannten Massenremigration für riesige Demonstrationen in ganz Deutschland. Führende Mitglieder der Partei, z.B. Björn Höcke, werden vom Verfassungsschutz mittlerweile als gesichert rechtsextrem eingestuft. Dennoch gewinnt die AfD mehr und mehr an Wählern* dazu, die scheinbar einfach über die vorhandenen menschenfeindlichen Seiten der Partei hinwegschauen. Das ZDF veröffentlichte nach den niedersächsischen Landtagswahlen 2022 eine Statistik, laut der 49% der AfD-Anhänger angaben, die Partei aufgrund ihrer politischen Forderungen gewählt zu haben. 45% wollten den anderen Parteien „einen Denkzettel verpassen“. Knapp die Hälfte der AfD-Wähler sind demnach Protestwähler und unterstützen die Partei in erster Linie nicht aufgrund ihrer rassistischen und homophoben Ansichten.Wie also schafft es die AfD, ihre Wähler so zu steuern, dass diese trotz offensichtlicher Menschenfeindlichkeit ein Kreuz für die Partei setzen?

Krisenzeiten als Argumentationsgrundlage

Um diesen Aufschwung zu verstehen, braucht es zunächst einen Blick auf die aktuelle gesamtpolitische Lage. Durch den Krieg in Europa, die auch dadurch beschleunigte Inflation, die Klimakrise, den Lehrermangel und den Notstand im Gesundheitssystem als einige der größten Problemfelder stehen sowohl die einzelnen Bürger als auch die Regierung vor vielen Herausforderungen. Die allgemeine Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik lag laut MDR im Oktober 2023 bei 89%. Dieser Zustand eignet sich als Basis für die Argumentation der AfD. Diese lässt sich, wie bei jeder anderen Partei, mit Blick auf die vier wesentlichen Teile Inhalt, Sprache, Strategie und Selbstdarstellung genauer beleuchten.

Geschickte Themenwahl

Laut Statista machten sich im Februar 2024 37% der Deutschen Sorgen wegen der Inflation, 35% wegen der Einwanderung und 21% wegen des Klimawandels. Hört man sich einige Bundestagsreden AfD-Abgeordneter an, werden diese Themen tatsächlich auch immer wieder aufgegriffen, was zunächst nichts Schlechtes ist. Dies steht auf den ersten Blick im positiven Kontrast zu den aktuell häufigen Vorwürfen gegenüber der Ampelregierung, welche angeblich nicht bürgernah sei und an den Forderungen der Bevölkerung vorbei regiere. Im weiteren Vorgehen allerdings nimmt die AfD ebendiese Sorgen auf und liefert scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme. So solle Deutschland laut des aktuellen Europawahlprogrammes der Partei die Energiekrise durch eine engere Zusammenarbeit mit Russland bewältigen – dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von Russland überhaupt in die Krise geführt hat, wird dabei komplett außer Acht gelassen. Des Weiteren werden Problemen ihre Existenz abgesprochen. So wird der Klimawandel als vermeintlich nicht-menschengemacht betitelt und sämtliche Debatten um ihn als „Hysterie“ bezeichnet. Bildlich gesehen werden also die Augen vor Problemen verschlossen – getreu dem Motto: „Was nicht gesehen wird, kann keine Probleme verursachen“. Dies sind zwei Arten, um mit den Sorgen der Bevölkerung umzugehen und sie scheinbar unkompliziert zu lösen.Auch mit unbelegten Vorwürfen anderen Parteien oder Menschengruppen gegenüber versucht die AfD zu punkten. Ein Beispiel, welches auf Social Media viral ging, da es im absurdesten Sinne wieder lustig schien, ist eine Rede Alice Weidels. Mit emotionalen Kampfaussagen im Bezug auf die Linken und die Grünen stand sie im bayrischen Abensberg, auf dem Gillamoos Volksfest am 4. September 2023 vor viel Publikum und schrie folgendes: „Sie wollen uns die Schweinshaxe, die Bratwurst, das Schnitzel verbieten. Und lasst mich eins sagen, ich lasse mir nicht mein Schnitzel wegnehmen! Niemand geht an mein Schnitzel!“. Die Menge stimmte mit Applaus zu (Q1). Problematisch hierbei ist allerdings, dass Recherchen mit öffentlich zugänglichen Quellen die Wahrhaftigkeit des Vorwurfes, die Linken oder die Grünen würden irgendwem die Schweinshaxe, Bratwurst oder das Schnitzel verbieten wollen, nicht ansatzweise bestätigen können. Sollte Alice Weidel also keine Geheimquellen besitzen, die sie zu keinem Zeitpunkt erwähnt, ist diese Aussage schlicht falsch. Auf diese Art instrumentalisiert Alice Weidel diejenigen, die sich von der veganen Bewegung gestört fühlen. Zudem thematisiert sie in ihrer 20-minütigen Ansprache (Q2) noch zahlreiche weitere Probleme, die viele Bürger aktuell beschäftigten, nur von einem Lösungsansatz fehlt jede Spur.

Feindbilder werden kreiert

Am Schnitzel-Beispiel lässt sich die Tendenz zeigen, dass die Partei Feindbilder schafft, die der deutschen Bevölkerung angeblich mit Absicht Böses antun wollen. Dies bestätigt sich beispielweise deutlich in einem Instagrampost von Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl 2024, vom Oktober 2022. Auf dem Foto ist er Teil einer Demonstration und hält ein Plakat mit den Gesichtern von Olaf Scholz, Robert Habeck und Nancy Faeser hoch. Darüber ist die Aufschrift „Ihr seid die Staatsfeinde“ zu lesen. Passend dazu unterstellte Alice Weidel der Bundesregierung am 31.1. 2024 in einer Bundestagsrede, Deutschland „zu hassen“ und deswegen absichtlich „zugrunde zu richten“ (Q3). Neben der Ampelregierung stellt die AfD Minderheiten als Feinde dar, beispielweise die Medien und Migranten, sowie Menschen des LGBTQ-Spektrums.

Sprache als Mittel zum Zweck

Mit gezielt eingesetzten Stigma-Wörtern unterstreicht die Partei stilistisch ihren Inhalt. Dies führt zu einer Emotionalisierung der angesprochenen Themen. So verglich Alice Weidel im Januar 2024 in einer Bundestagsrede das Presseportal Correctiv als „Hilfs-Stasi“ der Regierung (Q4) und zieht damit einen Vergleich zu den diktatorischen Maßnahmen der ehemaligen DDR. Die neue Heizungsregelung der Regierung nannte sie auf ihrem eigenen Youtube-Kanal „Heizungsmassaker: Armuts- und Enteignungsprogramm der Regierung“ (Q5), was die auf finanzieller Ebene besorgten BürgerInnen potentiell noch mehr in die Angst treibt.

„Nur die AfD

Die Vorgehensweise im Inhalt, der Sprache und im Stil wäre allerdings erfolglos, würde die AfD sich selbst nicht in Szene setzen. Denn zusätzlich zu den „Feinden“ der Bevölkerung muss es schließlich auch die „Retter“ geben. Oberflächlich betrachtet gibt schon der Name der Partei etwas Aufschluss über die Selbstdarstellung und -wahrnehmung der AfD. Vergleicht man den Namen „Alternative für Deutschland“ mit den restlichen Parteien, fällt auf, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) oder auch die Freie Demokratische Partei (FDP) sowie die Linken als Beispiele der anderen Parteien ihren grundsätzlichen politischen Diskurs im Namen tragen. Diese sind auch alleinstehend zu verstehen. Die AfD scheint sich von alldem abzugrenzen und betitelt sich „als Alternative“, also einer Option, die sich im Kontext anbietet, wenn andere (hier demokratische) Möglichkeiten versagen. Des Weiteren fällt die AfD immer wieder dadurch auf, dass sie sich selbst durch banalste Vorkommnisse in die Opferrolle stellt. Der Abgeordnete Stephan Brandner hielt im März 2024 eine Bundestagsrede, überschritt dort aber seine vorgegebene Redezeit. Die Präsidentin schaltete also nach wiederholten Verwarnungen sein Mikrofon ab, was mit dem Recht der begründeten Wortentziehung der Sprecher einhergeht. Dieser Vorgang wurde auf dem offiziellen TikTok-Account der AfD geteilt und als Reaktion auf den Inhalt seiner Rede dargestellt (Q6). Die wütenden Emojis sollten diese Bewertung unterstreichen. So werden Geschehnisse aus dem Kontext gerissen und verzerrt dargestellt.

In den sozialen Medien, in den Köpfen

All diese Dinge hätten vermutlich wenig Auswirkungen, wenn die Partei nicht auch die Möglichkeit zur Präsenz aktiv nutzen würde. Neben Wahlkampagnen und Bundestagsreden sieht man die AfD immer häufiger auf Social Media-Plattformen, allen voran TikTok. Im Durchschnitt werden die Videos der AfD auf TikTok drei Mal so häufig angeklickt wie die aller anderen Parteien zusammen. Dies ergab eine Datenerhebung des Politik- und Kommunikationsberaters Johannes Hillje für die Zeit von Januar 2022 bis Dezember 2023. Laut einer Grafik von Statista nutzten im Dezember 2023 etwa 61% der Generation Z (Geburtsjahr 1995-2012) in Deutschland regelmäßig Tiktok. Somit ist die AfD die Partei, welche auf Social Media am präsentesten ist und mit ihren Inhalten eine große Zahl jüngerer Personen erreicht. Dies ist vermutlich einer der Gründe des zunehmend sinkenden Alters der AfD-Wähler. Die grundsätzlichen Probleme von Kurzvideos lassen sich auch auf die Social Media-Inhalte der AfD anwenden. Fehlender Kontext, oberflächlich angerissene Themen, unvollständige oder falsch präsentierte Fakten sind Teil des AfD-Contents. Der Tiktok-Account von Maximilian Krah beispielsweise wurde vom Betreiber bereits eingeschränkt, da Krah vermehrt gegen die Community-Richtlinien der Plattform, also z.B. Desinformation und Diskriminierung anderer Personengruppen, verstieß.

Besorgniserregendes Phänomen

Die AfD geht in ihrer Argumentation sehr strategisch vor. Zunächst wird der Bevölkerung ein offenes Ohr vermittelt, dann die politische Gegenseite abgewertet, sich selbst als Retter dargestellt und schließlich eine große Menge junger Menschen auf „attraktive“ Art erreicht. Mit Sicherheit hat auch jede andere Partei Argumentationsstrukturen, welche man kritisch beleuchten kann. Allerdings sticht die AfD durch die Schaffung von Feindbildern und das Schüren von Ängsten deutlich hervor. Mit diesen Techniken schafft die Partei es, gezielt Wähler zu gewinnen und sie über andere Aspekte, beispielweise rassistische Äußerungen, hinwegsehen zu lassen. Diese manipulative Argumentationskultur der AfD ist gefährlich. Es ist beruhigend zu wissen, dass anscheinend nicht 18% aller Deutschen aus Überzeugung homophobes oder rassistisches Gedankengut teilen, auch wenn diese die AfD wählen. Dennoch erinnert das Vorgehen, Feindbilder zu schaffen und die Bevölkerung zu instrumentalisieren, sehr an die Methoden, mit denen den Nazis der Aufstieg gelang. Daher sollte die hohe Anzahl an Protestwählern definitiv ernst genommen werden, insbesondere von der aktuellen Regierung. Mit öffentlichen und verallgemeinernden Aussagen bezüglich der AfD und ihrer Wählerschaft muss vorsichtig umgegangen werden. Schnell bestätigt man diese in ihrem Gefühl der selbst zugewiesenen Opferrolle, was wiederum für nachfolgende Argumentationen ausgenutzt wird. Dies trifft auch auf die zwischenmenschliche Ebene im Alltag zu. Bei eigenen Begegnungen mit AfD-Wählern führen emotionale Diskussionen und voreilige Nazi-Vorwürfe häufig zu einer blockierenden Haltung des Gegenübers. Hier sind sachliche und faktenorientierte Gespräche zielführender. Des Weiteren ist es immer einen Versuch wert, respektvoll auf die menschenfeindlichen und propagandaähnlichen Verhaltensweisen der Partei hinzuweisen.

*Der im Text verwendete Maskulin Plural impliziert Personen jeden Geschlechts.

Q1: https://www.youtube.com/live/O7iK64UsBUc?si=cVXiXrCTOuc5A7LV

Q2: https://www.youtube.com/live/O7iK64UsBUc?si=25y83TUNPssPW_Pe

Q3: https://youtu.be/07ri4pzjUDw?si=hRaUsPPUilQ0IlZN

Q4: https://youtu.be/07ri4pzjUDw?si=G9UxCghAFp2qSIRL

Q5: https://youtu.be/Khft8zJfj5s?si=Ep78F1D76QMdcYc4

Q6: https://vm.tiktok.com/ZGeCYH4Q7/

Bild: Privat, Text: Schüler*in des 10. Jahrgangs