Was uns die Pandemie über die Gesellschaft verrät

Christian Köpper ist Diplomsozialpädagoge und Inhaber der Hildesheimer Cluster-Sozialagentur. Er zeigt uns, welche Auswirkungen die Pandemie auf soziale Aufgaben hat, was sich dabei für neue Chancen ergeben haben und was er aus dieser Zeit lernen konnte.

Cluster ist eine Sozialagentur, womit beschäftigt ihr euch genau? 

Währenddessen sich andere Einrichtungen der sozialen Arbeit oftmals sehr spezialisieren, arbeiten wir mit einem sehr breiten Portfolio und versuchen Verbindungen zwischen Wirtschaft und Sozialem herzustellen. Und da kann man einmal noch kurz sagen was machen wir: Jugendhilfe in Wohngruppen, mit Teams die Familien anfahren, Jugendlichen helfen Selbstständig zu werden. Beratung in all diesen verschiedenen Stellen. Aber eben auch ganz viele soziale Projekte, Modelprojekte zur Weiterentwicklung von sozialer Arbeit und dann eben auch Events wie verschiedene Sachen der Organisationsentwicklung, aber auch klassisch Messen und Veranstaltungen. 

Dabei habt ihr viel persönlichen Kontakt, wie hat sich die Corona-Pandemie auf das Geschäft ausgewirkt? 

Sehr unterschiedlich. Das ist ja das Besondere bei uns, da wir so viele unterschiedliche Abteilungen haben das hat uns in dieser Phase eigentlich gerettet wenn man jetzt überlegt, wir wären als Veranstaltungsagentur aktiv, hätten wir nur noch Leute in Kurzarbeit und hätten wahnsinnige Probleme zu überleben. Das heißt aber auch, der Bereich von Marketing, Gestaltung, alles was an Veranstaltungen dranhing und immer noch hängt, das ist wahnsinnig in Mitleidenschaft gezogen worden.

Auf der anderen Seite – in der Jugendhilfe – wenn ich eine Wohngruppe habe in der Jugendliche wohnen, dann wirkt das schon stark ein. Aber das ist wie ein Krankenhaus, die wohnen da. Da kann ich ja nicht sagen, wir machen jetzt zu, die sind da immer noch. Das heißt auch die Belastung in Familien hat durch Corona und die Lockdown Monate stark zugenommen.

Schwer gelitten haben wir dann aber im Bereich Schulbegleitung, wo wir zum Beispiel 10, 12, 13 Kolleginnen und Kollegen haben, wo dann natürlich auch durch monatelange Schulschließungen Unterricht ausfällt. Aber es zeigt so ein bisschen die Bandbreite, wie unterschiedlich und stark auf Bereiche eingewirkt wird.

Gab es Maßnahmen und wenn ja, wie fandest du diese? 

Gab es Maßnahmen: ja. Wenn wir diese Aufträge machen orientieren wir uns an Diskussionen in Fachverbänden. Wir haben aber auch Arbeitsschutzrichtlinien durchzusetzen, wir haben ein Gesundheitsschutz für Mitarbeitende aufrechtzuerhalten und uns damit aktiv zu beschäftigen 

Mussten wir Sachen umsetzen? Ja, aber wir hätten uns gewünscht, dass dabei konkreter und stärker behördliche Vorgaben an uns substerariert werden. Das ist eben nur in Teilen passiert, sodass wir sehr viel selbst mit uns und anderen Trägern diskutiert haben. Ich glaube, dass es uns dabei aber geht wie fast jeder anderen Institution, dass die Schnelligkeit der Umsetzung, die sich die Leute in verantwortlichen Positionen gewünscht hätten, in kleinen Einrichtungen wie jede einzelne Schule, wie jede einzelne Firma, … dass jeder doch sehr stark ins selber Denken kommen musste, was aber auch nicht verkehrt ist. Das politische Prozesse und Aushandlungsprozesse dabei nicht so schnell sind, finde ich bei genauerem Hinsehen auch teilweise verständlich. Schön wäre es trotzdem, wenn wir gewusst hätten, tut das, dann tut ihr es richtig. Nur wie in dieser Pandemie eben üblich, das wusste ja keiner und das weiß auch immer noch keiner so genau und deswegen ist man viel alleine dabei. 

Die Leute müssen am Ende selber einschätzen, was sie tun. Da können wir zwar Vorgaben machen, Empfehlungen machen, aber niemand von uns sitzt hinter den Leuten in den Schichten. Wir sprechen Empfehlungen dazu aus und sagen was, unsere deutliche Haltung dazu ist, teilweise gibt es Verbote und Dienstanweisungen.  

Haben sich dabei vielleicht neue Chancen ergeben? 

Na gut, nicht nur bei uns, sondern in der gesamtwirtschaftlichen Welt ist natürlich das Digitale dabei als erstes zu nennen. Wir führen digitale Teamsitzungen, welche auch teilweise kürzer und konzentrierter sind, wenn die Leute nicht zusammensitzen. Das sind Chancen, die sich im moderativen Bereich von Teamsitzungen bis hin zu Kundengesprächen ergeben und dann ein sehr konzentriertes und effektive Arbeiten ermöglichen. 

Außerdem ist das Controlling anders. Es geht nur noch um Ergebnisse, nicht mehr um den Weg dahin, wir haben mehr Vertrauen in die Mitarbeiter*innen. Die wollen aber gar nicht nur das, die wollen den Kontakt und wollen auch hier sein. 

Also Digitales und die Wertigkeit von persönlichem Kontakt ist vielleicht zusammenfassend das, wo ich besondere Veränderungen sehe. 

Konntest du in dieser schwierigen Zeit etwas lernen? 

Leider zeigt es sich, dass wieder viele Menschen, bei komplexen Themen, nach klaren Antworten suchen und können ganz schwer damit leben, dass es die nicht gibt und dann fangen sie an zu spinnen. Das haben sie schon damals gemacht, als sie nicht erklären konnten, warum es blitzt und donnert. Da wurde schon von irgendwelchen Göttern gesprochen, die da oben bestimmt sitzen.  

Was lerne ich daraus? Wieder genau informieren, hinhören, Hintergrunde hören, eigenes Bild machen und so differenziert wie möglich Dinge betrachten. Da kommt man der Wahrheit wohl am Nächsten.

Heute sind es andere Verschwörungstheorien, die irgendjemand aufstellt, um zu sagen „Da ist jetzt aber jemand, es ist bestimmt Bill Gates und Merkel, die wollen eigentlich…“. Weil sie der Komplexität nicht Herr werden können, aber vor allem, weil sie mit der Unsicherheit nicht umgehen können. Die gesellschaftlichen Spaltungen die dabei entstehen zeigen ja, was für wahnsinnige Bildungsaufträge wir haben. Wir müssen emanzipieren, mündige Menschen schaffen, die sich in diese Diskurse begeben können. 

Das es auf der anderen Seite sehr viel Solidarität gibt, zeigt aber auch das menschlich humanistische Potenzial, das wir in dieser Gesellschaft haben. Das macht Mut. 

Es gibt jedoch ganz viele Leute, die man vorher als wegweisend gesehen hat bei denen sich dann zeigt, sobald sie selber Abstriche machen müssen, und sei es nur eine blöde Maske zu tragen, sich diese schon anfangen damit schwer zu tun. Also wo fängt Solidarität an, wo hört das für einzelne auf. Und was kann ich dabei lernen? Mich dazu zu Positionieren. 

Zu gucken wie sich eine Gesellschaft in einem historischen Ausnahmezustand verhält, das ist ja eigentlich irre spannend. Toll das wir da mit teilnehmen dürfen!


Text: Nick Hermann; Foto: Pixabay; Interview geführt am: 18.11.2020