Von der Pandemie eingeholt
„Ob ich jetzt in den USA im Lockdown sitze oder in Deutschland, ist eigentlich relativ egal. Auch wenn man nur mit seiner Gastfamilie zu Hause sitzt, wächst man zusammen und diese Zeit kriege ich nie wieder.“ Elise Stoewenau ging im August 2019 für geplante elf Monate in den Bundesstaat Texas in den Vereinigten Staaten von Amerika. Nach knapp acht Monaten war sie schon wieder in Deutschland. In diesem Interview blickt sie auf ihre erschwerten Rückreisebedingungen zurück und wie sie mit ihrer aktuellen Situation klarkommt.
Wie kam es dazu, dass du schon so verfrüht aus deinem Auslandsjahr zurückkehren musstest?
Meine Austauschorganisation [AFS] konnte es nicht verantworten, alle Austauschschüler in den Ländern bleiben zu lassen, in denen sie waren. AFS hat alle nach Hause geschickt, weil es ziemlich hohe Inzidenzwerte des Coronavirus gab.
Anfang Dezember 2019 traten in China die ersten Fälle des Coronavirus auf. Im vergangenen halben Jahr folgten in Deutschland strenge Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Wie hast du den Verlauf der Pandemie in den Vereinigten Staaten von Amerika erlebt?
Zwischen Januar und Februar habe ich immer wieder Artikel über das Virus gelesen, aber ich habe das gar nicht ernst genommen und mich sogar geärgert, dass das so hochgespielt wird.
Von diesem Zeitpunkt an ging alles dann sehr schnell. Es war gerade „spring break“ [Frühlingsferien] und da gab es die Nachricht, dass die Schule geschlossen wird. Das war die erste Maßnahme, die ich mitbekommen habe. Zwei Wochen danach kam das „Home Schooling“ und man sollte nicht so viele Leute treffen.
Dann hat AFS uns bald die Nachricht gegeben, dass wir in kürzester Zeit nach Hause müssen, sie haben uns aber erst nicht gesagt wann. Zu der Zeit wurden viele Flieger verschoben, sodass auch mein Flieger gecancelt wurde und AFS einen Charterflug gebucht hat. Es hat dann ungefähr zwei Wochen gedauert von der Nachricht, dass ich fliege, bis ich dann wirklich geflogen bin. Ich weiß nicht, ob ich sonst noch zu der Zeit nach Hause gekommen wäre, wenn sich meine Austauschorganisation nicht so viel Mühe gegeben hätte.
Dieser überstürzte Aufbruch, welchen du beschreibst, wie hat der sich für dich angefühlt?
Erst war ich sehr geschockt darüber, dass alles so schnell ging. In den zwei Wochen bis zum Flug war mir die ganze Zeit schlecht und ich habe auch kaum was gegessen. Ich habe gar nicht so viel geweint, aber es war einfach alles zu viel. Ich wusste gar nicht, wie ich mich fühlen sollte. Das ist ja schon so ein zweites Zuhause für mich und bis auf einen kleinen, aber wichtigen Teil meiner Freunde und meiner Gastfamilie konnte ich mich auch von gar keinem richtig verabschieden.
Das hört sich an, als wäre es sehr hart für dich gewesen. Inwiefern hat diese unvorhersehbare Wendung durch Corona denn deinen Gesamteindruck des Auslandsjahres beeinflusst?
Es hat das Auslandsjahr auf jeden Fall sehr geprägt und chaotischer gemacht. Die acht Monate, die ich dort war und sehr viel erlebt und neu kennengelernt habe und mir viele Gedanken gemacht habe, fallen dadurch aber nicht weg. Letztendlich hat es aber auch einen Erfahrungswert, so schnell so einen großen Planwechsel zu haben und sich wieder in einem ganz anderen Umfeld als geplant zu befinden.
Andererseits konntest du die ganzen letzten Monate wahrscheinlich nicht viel der Dinge erleben, die du dir vorher vorgenommen hattest.
Ja, ich hatte noch besonders viele Pläne für diese Zeit, in der ich dann nach Hause musste. Gerade die zweite Hälfte des Auslandsjahres ist besonders cool gewesen und dass es da gekürzt wurde, war echt doof. Beispielsweise wollte ich noch auf so eine Art Festival mit meinen Freunden gehen, mit meiner Gastfamilie rumreisen und Verwandte besuchen und einen Teil der Sommerferien in den USA verbringen.
Wie beurteilst du das rückblickend, hattest du dann mit der Rückkehr das schlechtere Los gezogen?
Rückblickend denke ich, wäre es trotzdem besser gewesen, wenn ich die Zeit dageblieben wäre. Einmal hatte ich das so geplant und meine Eltern haben dafür relativ viel bezahlt. Ob ich jetzt in den USA im Lockdown sitze oder in Deutschland, ist eigentlich relativ egal. Auch wenn man nur mit seiner Gastfamilie zu Hause sitzt, wächst man zusammen und diese Zeit kriege ich nie wieder. Also natürlich ärgere ich mich, aber ich kann schon verstehen, dass AFS das alles so gemacht hat. Sie haben ja auch eine Verantwortung für die Austauschschüler und wenn dann irgendwas passiert, ist AFS ja quasi schuld, weil sie erlaubt haben, dass die Austauschschüler in ihren Austauschländern geblieben sind.
Dein Aufbruch aus den USA liegt jetzt alles schon ein dreiviertel Jahr zurück und du hattest Zeit, dich von der ganzen Situation wieder zu erholen. Wie geht es dir aktuell gefühlsmäßig?
Ich denke noch oft zurück und denke: „Was wäre gewesen, wenn…?“, aber es ist auf jeden Fall sehr anders als die zwei- drei Monate nach dem Wiederkommen. Da habe ich wirklich immer noch Tage gehabt, an denen ich die ganze Zeit darüber gegrübelt habe. Das ist jetzt vorbei und ich bin mit dem Kopf wieder in Deutschland. Aber natürlich ist es immer noch ein Thema.
Zur Person: Elise Stoewenau ist eine 18 jährige Schülerin, die 2019/20 für ein Auslandsjahr in Texas war. Nun lebt sie seit April 2020 wieder in Deutschland und geht dort zur Schule.
Interview geführt von: Julia Hemp (am 15.11.2020); Bild: pixabay