Verliebt, gestalked, tot

Im Jahr 2023 mussten 360 Frauen in Deutschland ihr Leben lassen – weil sie Frauen waren. Laut dem Bundeskriminalamt wurden 80,6% der 360 ermordeten Frauen von einem Mann getötet, zu dem sie vor oder während des Mordes ein romantisches Verhältnis hatten. Die Motive dieser Männer waren häufig gleich: Eifersucht, Angst vor Kontrollverlust über die Frau, ein Beziehungsende. Femizide, wie man diese Morde nennt, stellen den größtmöglichen Ausdruck patriarchaler Gewalt dar. Sie spiegeln das Gefühl einiger Männer wieder, die Frau zu „besitzen“.

Die britische Kriminologin Jane Monckton Smith von der Universität Gloucestershire untersuchte die Hintergründe von 372 Femiziden genauer und kam zu dem Schluss, dass Femizide meistens nicht etwa im Affekt geschehen, sondern vorher sorgfältig geplant sind. Basierend auf ihren Untersuchungen zu bereits geschehenen Femiziden konnte Monckton Smith bestimmte Schemata erkennen, die fast alle Fälle gemeinsam hatten. Daraus entwickelte sie das sogenannte 8-Stufen-Modell, welches die verschiedenen Phasen einer Beziehung bis zum Femizid darstellt. Dabei dauern die dargestellten Phasen unterschiedlich lang, in manchen Fällen wenige Stunden bis hin zu einigen Jahren. Das Modell soll sowohl der Polizei als auch Betroffenen helfen, bestimmte Verhaltensstrukturen innerhalb einer Beziehung ernst zu nehmen und frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen.

Das Modell von Monckton Smith sieht folgender Maßen aus:


1. vor der Beziehung
Einige der Täter fielen schon vor der Beziehung mit ihrem späteren Mordopfer durch Gewalttätigkeiten oder Stalking auf. Teils wussten ihre Partnerinnen davon.

2. frühe Beziehung
Gleich zu Beginn der Beziehung wird von der Frau ein hohes „Commitment“ erwartet, also eine zügige Bindung an den Mann oder auch die Bereitschaft, persönliche Dinge wie Hobbies für die frische Beziehung aufzugeben. Es kommt es zu sehr besitzergreifenden „Liebesgeständnissen“, wie etwa „Du bist nur mein“. Früh werden große gemeinsame Meilensteine angestrebt, zum Beispiel ein Baby.

3. Beziehung
In der Beziehung wird aus dem anfänglichen besitzergreifenden Verhalten des Mannes ein aktives Kontrollieren oder Stalken der Frau.

4. Trigger
Die Frau verschließt sich emotional vor ihrem Partner, beendet die Beziehung oder spricht eine mögliche Trennung an. Dadurch hat der spätere Täter das Gefühl, seine Macht über die Frau zu verlieren.

5. Eskalation
Häufig kommt es in dieser Phase zu einer endgültigen Trennung seitens der Frau. Der Partner hat das Gefühl eines vollständigen Kontrollverlusts über die Frau. Mit allen Mitteln probiert er, den Kontakt zu ihr wieder herzustellen. Dabei kommt es zu emotionalen Szenen, in denen der Mann die Frau anfleht, zurückzukehren oder mit seinem eigenen Suizid droht. Die emotionale Erpressung ist also ein wesentliches Mittel, welches neben Drohungen verwendet wird, um die Frau wieder „unter Kontrolle“ zu bringen.

6. Sinneswandel
Ein scheinbarer Sinneswandel des Partners findet statt. Er lässt die Frau in Ruhe, hat offenbar aufgegeben, sie „zurückzugewinnen“. Jedoch trügt dieser Schein, denn erste ernsthafte Gedanken an den Mord der Frau machen sich breit.

7. Planung des Mordes
In dieser Phase wird der Mord an der Frau intensiv vorbereitet und geplant, meist auch eine Tatwaffe besorgt. Der spätere Täter googelt nach Möglichkeiten, um den Mord zu begehen. Meist plant er auch sorgfältig ein Treffen, bei dem er die Frau alleine antreffen wird.

8. Femizid
Der Femizid findet meist in der Wohnung oder am Arbeitsplatz des Opfers statt. Häufig versucht der Täter, den Mord als Suizid der Frau darzustellen. Teils bringt der Täter auch enge Familienmitglieder oder Freunde der Frau mit um oder nimmt sich nach der Tat selbst das Leben.


Das Modell zeigt, dass sich schon sehr früh ungesunde Beziehungsdynamiken erkennen lassen. Solltet ihr euch in einer dieser Stufen wiederfinden oder aktiv von Gewalt und Stalking betroffen sein, könnt ihr euch jederzeit unter der Nummer 116 016 beim „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ melden. Die Beratung erfolgt anonym, kostenlos und funktioniert sogar ohne Telefonguthaben.