EM im Mutterland des Fußballs – Was sollte man wissen?
In knapp zwei Wochen geht es für die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen endlich wieder auf ein großes Turnier. Und das auch noch im sogenannten „Mutterland des Fußballs“. Denn am 6. Juli startet in England die 13. Europameisterschaft (kurz EM, Euro) der Frauen. Alles, was ihr zum Turnier, zur deutschen Mannschaft und zu den Titelkandidaten wissen müsst, erfahrt ihr hier.
Die Europameisterschaft wurde erstmals im Jahr 1984 ausgestrahlt und findet heutzutage alle vier Jahre statt. Dennoch wurde der amtierende Europameister aus den Niederlanden schon 2017 gekürt, was bereits fünf Jahre zurück liegt. Der Grund ist auf die Verschiebung der Europameisterschaft der Männer zurückzuführen, die wegen der Pandemie um ein Jahr nach hinten verlegt wurde. Damit die Turniere nicht kollidieren, findet nun also auch die Euro der Frauen mit gut einem Jahr Verspätung statt.
Gastgeber England darf bereits zum zweiten Mal eine EM-Endrunde austragen. Neu ist allerdings, dass erstmalig auch der sogenannte VAR, also „Video-Assistan-Referee“, bei einer Euro zum Einsatz kommt. Was beim Männerfußball sogar in der Bundesliga schon seit der Saison 2017/18 Programm ist, wird also nun auch, zumindest bei großen Turnieren, auf den Frauenfußball übertragen. Das heißt, dass es auch bei der EM neben den vier offiziellen Schiedsrichtern auf dem Platz noch zusätzliche Schiedsrichter in einem Videoraum gibt, die sich strittige Spielszenen über Monitore genauer und in Zeitlupe anschauen können. Damit werden die Schiedsrichter auf dem Platz unterstützt und Fehlentscheidungen gegebenenfalls berichtigt.
Der Anstoß des Turniers erfolgt am 6. Juli. Dann trifft Gastgeber England um 21 Uhr im Traditionsstadion „Old Trafford“ auf Österreich. Das „Old Trafford“ ist normalerweise die Heimspielstätte des Premierleague-Klubs Manchester United und liegt im Südwesten der Stadt Manchester im Nordwesten Englands. Neben Manchester werden die Spiele in insgesamt neun Stadien ausgetragen, wobei einzig das Finale im legendären Wembleystadion in London stattfinden wird. Weitere Städte sind beispielsweise Brighton and Hove, Southampton oder auch Sheffield.
Insgesamt werden 16 Mannschaften, auf vier Gruppen verteilt, die Endrunde dieser EM bestreiten. Erstmals dabei sein wird Nordirland, das sich über Play-Offs in der Vorrunde gerade so qualifizieren konnte. Ursprünglich qualifiziert hatte sich auch die russische Nationalmannschaft, die aber nach Putins überfall auf die Ukraine Anfang Mai von der UEFA ausgeschlossen wurde. Für sie durfte die portugiesische Auswahl nachrücken.
Die wohl härteste Gruppe hat die deutsche Mannschaft erwischt. Mit Finnland, den Spanierinnen um Weltfußballerin Alexia Putellas vom FC Barcelona und Dänemark, die bei der letzten Europameisterschaft erst im Finale von den Niederlanden bezwungen werden konnten, warten starke Kontrahenten auf das deutsche Team in Gruppe B.
Die Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg und die Mannschaft zeigen sich jedoch einige Wochen vor Beginn des Turniers selbstbewusst und fokussiert: „Wir zählen uns zu den Favoriten“ so die stellvertretende Kapitänin Sara Däbritz im Vorbereitungslager in Herzogenaurach. Gleichzeitig weiß sie aber auch um die Härte der Gruppe und betont: „Wir […] schauen von Spiel zu Spiel und wollen jedes einzelne gewinnen“. Die Mittelfeldakteurin, die erst kürzlich von Paris Saint-Germain zum Championsleague-Sieger Olympique Lyon gewechselt hat, wird gemeinsam mit Alexandra Popp vom VFL Wolfsburg das Team auf den Platz führen und als eine der erfahrensten Spielerinnen wohl besonders gefragt sein.
Denn als Rekord-Europameister sind die Erwartungen an die deutsche Mannschaft gewohnt hoch. Bei zehn Teilnahmen gewannen sie ganze acht Mal den Titel und sind aus dem Kreis der Favoriten kaum wegzudenken. Und auch dieses Mal bietet der Kader viel Potential und eine interessante Mischung aus erfahrenen Spielerinnen, wie den bereits erwähnten Kapitäninnen Svenja Huth (VFL Wolfsburg), Lina Magull und Linda Dallmann sowie in der Abwehrkette Marina Hegering (alle drei FC Bayern München). Jüngste im Kader ist die erst 19jährige Jule Brand, die ab kommender Saison für den VFL Wolfsburg auflaufen und gemeinsam mit Sydney Lohmann (22 Jahre, FC Bayern) und Nicole Anyomi (ebenfalls 22 Jahre, Eintracht Frankfurt) besonders offensiv für frischen Wind sorgen wird.
Verzichten muss die Bundestrainerin auf die Leistungsträgerinnen Dzsenifer Marozsan (Olympique Lyon), die auf Grund eines Kreuzbandrisses verletzt ausfällt, und Melanie Leupolz (Chelsea FC), die ihr erstes Kind erwartet.
Nach ihrer Baby-Pause wieder mit dabei sein wird allerdings Torhüterin Almuth Schult. Nachdem sie im Frühjahr 2020 Mutter von Zwillingen wurde und seitdem immer wieder auch mit kleineren Verletzungen zu kämpfen hatte, ist sie doch rechtzeitig fit und auf einem guten Niveau. Ganz zufrieden wird sie allerdings nicht sein, denn den Sprung in die Startelf schaffte sie nur in Testspielen. Die klare Nummer eins für das Turnier ist Merle Frohms. Die 27-Jährige erkämpfte sich in den letzten drei Jahren der Abwesenheit Schults wohlverdient das Trikot mit der Nummer eins. Und auch im Verein folgt die ehemalige Frankfurterin auf Almuth Schult, denn die wechselt nach der EM in die amerikanische Profiliga nach Los Angeles, sodass Merle Frohms von Frankfurt nach Wolfsburg gehen kann und auch da die Nachfolge antreten darf. Dennoch wird Almuth Schult für die Mannschaft von enormer Bedeutung sein. Die 31-Jährige läuft bereits seit 2012 für Deutschland auf und war am Gewinn der letzten Europameisterschaft 2013 maßgeblich beteiligt, indem sie nur ein Gegentor im gesamten Turnier zuließ. Ihre Erfahrung nutzte sie in der Vergangenheit immer häufiger, um auch wichtige Themen außerhalb des Platzes anzusprechen und zu unterstützen, wie beispielsweise die Initiative „Fußball kann mehr“ (siehe Beitrag: „Fußball kann mehr“ – Vielfalt in deutschen Führungsetagen).
Daher gilt sie als eine Art Sprachrohr des deutschen Teams und ist als Führungskraft auch außerhalb des Platzes enorm wichtig für den Erfolg, der sich in diesem Jahr wohl besonders bezahlt machen würde. Denn auf die deutsche Mannschaft wartet beim Titelgewinn eine Rekordprämie von 60.000 Euro. 2017 hätte es nur 37.500 Euro für den Titelgewinn gegeben. Und auch marketingtechnisch legt der DFB sich ins Zeug und wird am 6. Juli die dreiteilige Doku-Serie „Born for this – Mehr als Fußball“ zur Mannschaft und zur Vorbereitung auf das Turnier herausbringen. Diese wird in der ARD, auf Sky und Magenta TV zu sehen und später noch abrufbar in den jeweiligen Mediatheken sein.
Als achtmaliger Sieger der letzten neun Austragungen gehört Deutschland immer noch zum Favoritenkreis, der besonders in den letzten Jahren immer weiter wächst. Das stellt auch Svenja Huth im Rahmen einer Pressekonferenz fest: „Es können sieben, acht Nationen den Titel gewinnen, dementsprechend ist der gesamte europäische Frauenfußball in der Spitze zusammengerückt“. Das konnte man bereits in der vergangenen Championsleague-Saison erkennen. Bis zum Viertelfinale waren noch fünf und im Halbfinale noch drei verschiedene Nationen vertreten. Daher ist es tatsächlich schwierig, einen klaren Favoriten ausfindig zu machen.
Besonders motiviert werden offensichtlich die Engländerinnen sein, die im eigenen Land auf ausdrückliche Unterstützung hoffen können und den ersten großen Titel überhaupt vor heimischem Publikum feiern wollen. Große Chancen können sich ebenfalls die Schwedinnen ausrechnen. Als Olympiafinalist in Tokyo 2021 und Weltranglistenzweite reisen sie zum Turnier und werden sicher äußerst selbstbewusst auftreten. Auf sie wartet aber direkt im ersten Gruppenspiel der Gruppe C das Topspiel schlechthin. Am 9. Juli treffen sie nämlich auf den amtierenden Europameister aus den Niederlanden. Schon bei der letzten EM und der letzten WM trafen die beiden Teams aufeinander. Beide Male in der K.O. Runde, beide Male gewannen die Niederländerinnen. Es geht also direkt spannend los.
Aber auch der Weltranglistendritte ist nicht zu unterschätzen. Die Französinnen treten zwar ohne ihre Starspielerinnen Amandine Henry und Eugenie Le Sommer an, dafür aber mit ganz viel junger Kraft um die erfahrene Kapitänin Wendie Renard.
Ebenfalls auf dem Zettel sollte man die Spanierinnen haben, denn die setzen vor allem auf Erfahrung mit Championsleague-Torschützenkönigin Alexia Putellas vom FC Barcelona, die in der vergangenen Saison nicht ein Ligaspiel verloren hat. Mit 30 Siegen aus 30 Spielen und einem Torverhältnis von +148 Toren krönte sich Barcelona sicher zum spanischen Meister. Kein Wunder, dass Cheftrainer Jorge Vilda gleich 11 Spielerinnen von Barca nominierte, die eigentlich gar nicht wissen, wie man verliert.
Wer sich den Titel also schlussendlich sichert, bleibt abzuwarten. Was jetzt schon klar ist: Es wird wohl dank der rasanten Entwicklung des Frauenfußballs in den letzten Jahren eine der spannendsten Europameisterschaften überhaupt. Wie gut da die deutsche Mannschaft mithalten kann, wird in der ARD und im ZDF zu sehen sein. Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender werden alle 31 Partien live im TV oder frei abrufbar in der Mediathek zeigen, sodass man kein Spiel verpassen kann.
Wem drückt ihr also die Daumen?
Weitere Infos zum Turnier und einen Spielplan findet ihr hier : Frauenfußball-EM 2022.